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Wechselwirkungen von pflanzlichen Nahrungsmittelinhaltsstoffen und Darmbakterien

Ein Vortrag von Dr. Annett Braune

„Die zahlreichen Wechselwirkungen von Ernährung, Mikrobiom und Mensch sind ein sehr komplexes System“, stimmte Dr. Annett Braune ihre Zuhörer auf das Thema ein. Braune ist Leiterin der Forschungsgruppe Intestinale Mikrobiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke.

Nahrungsmittel können nicht nur direkt die Gesundheit beeinflussen, sie können auch indirekt über die Darm-Mikrobiota wirken: Die Inhaltsstoffe können die Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota verändern und die Darm-Mikrobiota kann wiederum die Inhaltsstoffe zu zahlreichen Produkten umsetzen, die ebenfalls die Gesundheit des Menschen beeinflussen.


Sekundäre Pflanzen-Inhaltsstoffe sind bioaktiv

Die sekundären Pflanzen-Inhaltsstoffe stufte Braune in dem Zusammenhang als besonders interessant ein. Sie liefern zwar weder Energie wie die Kohlenhydrate, Proteine und Fette, noch sind sie essentiell für Stoffwechselfunktionen wie die Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Doch sie sind bioaktiv und können vielfältige Wirkungen im Menschen hervorrufen.

Zunächst fokussierte sich Braune auf Polyphenole – speziell die Flavonoide, die in Nahrungspflanzen weit verbreitet sind. Die Substanzen haben dort verschiedene Funktionen: Sie locken zum Beispiel als Blütenfarbstoffe Bestäuber an und bieten Schutz vor UV-Strahlung. Außerdem können sie Fressfeinde und Pilze abwehren und hormonell wirken - in der Pflanze wie im Menschen. 

Beim Menschen können Flavonoide in verschiedene Signaltransduktionswege eingreifen, indem sie Enzyme hemmen oder an Rezeptoren binden. So können sie Prozesse wie Proliferation, Entzündung, und Angiogenese positiv beeinflussen. „Aber natürlich - wie so oft - gibt es auch unerwünschte Wirkungen, was zum Teil abhängig ist von der vorliegenden Konzentration“, erläuterte Braune. Flavonoide können zum Beispiel auch prooxidativ und mutagen wirken und die Wirkung von Arzneimitteln verändern.


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Weg der Polyphenole im Körper

Die Polyphenole können im Dünndarm resorbiert werden und über das Blut die Leber erreichen. Dort werden sie biochemisch verändert; anschließend gelangen sie ins Gewebe oder werden über die Niere und den Urin ausgeschieden.

Über den enterohepatischen Kreislauf können sie aber auch zurück in den Darm gelangen. Dort können Darmbakterien sie zusammen mit den nicht resorbierten Polyphenolen abbauen. Besonders stark werden die Polyphenole im Dickdarm verstoffwechselt, da die Darmbakterien dort die höchste Dichte haben. Die entstandenen Stoffwechselprodukte können wieder resorbiert werden und über den Blutkreislauf das Gewebe erreichen.


Polyphenole wirken auf die Darm-Mikrobiota

Im Darm können Polyphenole die Anzahl der probiotischen Bakterien erhöhen und der pathogenen Bakterien verringern. Sie können Buttersäure-produzierende Bakterien fördern und die Resistenz der Darm-Mikrobiota gegenüber ungünstigen Einflüssen erhöhen.

Zusätzlich beeinflussen Polyphenole die Aktivität einzelner Darmbakterien. Das kann die Integrität des Epithels und die Produktion der Buttersäure erhöhen. „Und im Gegenzug können ungünstige Metaboliten wie sekundäre Gallensäuren oder auch Toxine in der Konzentration gesenkt werden“, so Braune.

Die Mikrobiota setzt die Polyphenole zu Stoffen um, die auch wieder die Zusammensetzung und Aktivität der Darm-Mikrobiota beeinflussen. Zusätzlich können sie direkt anti-inflammatorisch, anti-proliferativ oder apoptotisch wirken und die Darm-Barriere stärken. Entsprechend könnten die Stoffe zum Schutz vor Erkrankungen wie Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen, Neurodegeneration, Adipositas und Typ-2-Diabetes beitragen.


Verschiedene Metabotypen - je nach gebildeten Stoffwechselprodukten

„Ein wichtiger Aspekt sind aber auch die interindividuellen Unterschiede“, erklärte Braune in Bezug auf den bakteriellen Abbau der Pflanzeninhaltsstoffe. Wie sich die Menschen ernähren und bewegen und ob sie zum Beispiel Medikamente einnehmen, wirkt sich auf das Profil der gebildeten Stoffwechselprodukte aus. Aufgrund der erheblichen Unterschiede der Darm-Mikrobiota-Aktivitäten teilen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen deshalb Personen in mikrobielle Metabotypen ein.

Braune hat mit ihrer Forschungsgruppe an circa 20 Probandinnen und Probanden untersucht, inwiefern deren Darm-Mikrobiota ein bestimmtes Flavonoid - das Daidzein - umsetzen kann. Dafür haben die Forschenden Suspensionen von Stuhlproben der Probandinnen und Probanden mit dem Flavonoid inkubiert. Das Ergebnis: Die Mikrobiota einiger Probandinnen und Probanden konnte das Daidzein kaum oder gar nicht umsetzen. Bei manchen bildete die Darm-Mikrobiota Dihydrodaidzein, bei anderen Dihydrodaidzein und Equol und bei einer weiteren Gruppe relativ schnell Equol.

Derart starke Unterschiede im bakteriellen Stoffwechsel konnten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auch für andere sekundäre Pflanzenstoffe zeigen. „Bestimmte Metaboliten werden nur in bestimmten Probanden gebildet. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Wirkungen der aufgenommenen Substanzen“, so Braune.


Schwefelverbindungen in grünen Pflanzen

Nahrungspflanzen enthalten auch schwefelhaltige Stoffe, erklärte Braune: „Sulfolipide sind sehr weit verbreitet, denn sie kommen in der Chloroplasten-Membran aller grünen Pflanzen vor.“ Blattgemüse hat entsprechend hohe Sulfolipid-Konzentrationen, aber auch Cyanobakterien - die sogenannten Spirulina. Sie werden in Deutschland als Nahrungsergänzungsmittel angeboten, in manchen Ländern stehen sie ganz regulär auf dem Speiseplan.

Wie Braune mit ihrer Arbeitsgruppe herausgefunden haben, können Darmbakterien die Sulfolipide umsetzen und daraus Schwefelwasserstoff bilden. Als weitere Schwefel-Quellen, aus denen Darmbakterien Schwefelwasserstoff bilden können, nannte Braune:

  • die Aminosäure Cystein in Proteinen
  • die nicht-proteinogene Aminosäure Taurin
  • mit Taurin konjugierte Gallensäuren
  • Mucine der Mukus-Schicht

Auch die Darm-Epithelzellen selbst bilden Schwefelwasserstoff - vor allem aus Cystein - und Nahrungsmittel können direkt Schwefelwasserstoff enthalten.


Höhere Schwefelwasserstoff-Konzentrationen sind schädlich

In höheren Konzentrationen wirkt Schwefelwasserstoff pro-inflammatorisch, kann die Mukus-Schicht schädigen und das Bakterienwachstum hemmen. In geringer Konzentration ist Schwefelwasserstoff dagegen essentiell für Regulationsprozesse im Darm: Das Gas wirkt dann eher anti-entzündlich, stimuliert die Mukus-Bildung und stabilisiert die Mikrobiota.

An der Schwefelwasserstoff-Bildung sind in erster Linie Cystein-abbauende Bakterien wie Escherichia coli beteiligt. Es gibt aber auch Sulfitreduzenten. „Dazu gehört ein sehr interessantes Bakterium mit dem Namen Bilophila wadsworthia“, so Braune. Das Bakterium ist Bestandteil der normalen Darm-Mikrobiota und bei 60 Prozent der Menschen mit circa 105 Zellen pro Gramm Stuhl vertreten.


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Pathobiont Bilophila wadsworthia

Bilophila wadsworthia ist ein Gram-negatives Stäbchen, bildet keine Sporen und kann nur in Abwesenheit von Sauerstoff wachsen. Gallensäuren wirken stimulierend auf das Bakterium, worauf bereits der Name Bilophila - Galle liebend - hinweist. Bilophila wadsworthia nutzt zum Beispiel die Gallensäure Taurocholat als Substrat. Aus dem Taurin bildet es Sulfit und schließlich Schwefelwasserstoff.

„Bilophila wadsworthia ist ein sogenannter Pathobiont, das heißt, dieses Bakterium kann unter bestimmten Umständen pathogene Wirkungen aufweisen“, so Braune. Ursprünglich wurde das Bakterium aus Patienten mit intra-abdominalen Infektionen isoliert, zum Beispiel aus Proben von Patienten mit Blinddarmentzündung.

Studien zeigen laut Braune inzwischen auch: Das Bakterium fördert im Colitis-Mausmodell Entzündungen - sogar systemische Entzündungen konnten Wissenschaftler beobachten. Erhöhte Zellzahlen des Bakteriums treten bei kolorektalen Krebserkrankungen auf und verstärken metabolische Fehlfunktionen bei Mäusen, die fettreich gefüttert wurden.  


Viele Fragen und ein abschließendes Plädoyer

Bei entsprechender Ernährung nehmen wir eine große Bandbreite sekundärer Pflanzenstoffe zu uns, die am Ende vielfältig wirken. Dazwischen gibt es jedoch noch viele Fragen zu beantworten, so Braune: „Werden diese Substanzen metabolisiert? Inwiefern spielen die interindividuellen Unterschiede eine Rolle? Und wie steht es mit der Bioverfügbarkeit?“

Braune forscht mit ihrer Arbeitsgruppe derzeit weiter an den Wechselwirkungen zwischen sekundären Pflanzenstoffen und Darmbakterien. Auch die Wirkmechanismen hinter den beobachteten Effekten der sekundären Pflanzenstoffe sieht Braune als äußerst interessant an.

Trotz der offenen Fragen beendete Braune ihren Vortrag mit dem Plädoyer an ihre Zuhörer, sich vielfältig zu ernähren, basierend auf Gemüse, Obst und anderen pflanzlichen Nahrungsmitteln, um die Darmbakterien tatsächlich glücklich zu machen.


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