Die Rolle der Mikrobiota bei kardiovaskulären Erkrankungen
Ein Vortrag von Juniorprof. Dr. habil. Christoph Reinhardt
Lesedauer: ca. 03:30 min
„Die Anzahl der kardiovaskulären Erkrankungen nimmt zu“, griff Dr. habil. Christoph Reinhardt die einleitenden Worte von Dr. Kerstin Rusch auf, „und das ist ein großes Problem“. Reinhardt ist Juniorprofessor am Centrum für Thrombose und Hämostase der Universitätsmedizin Mainz.
Mit seiner Arbeitsgruppe untersucht er an keimfreien Mäusen, welche Rolle die Darm-Mikrobiota bei kardiovaskulären Erkrankungen spielt. Die Mäuse wachsen dafür in keimfreien Isolatoren auf und nehmen autoklaviertes Futter und Wasser zu sich. Besiedeln die Wissenschaftler die Mäuse anschließend mit definierten Bakterienkulturen, können sie deren Wirkung auf die Physiologie und die Entstehung von Krankheiten erforschen.
Mikrobiota: Immunstimulator, aber auch Entzündungstreiber
Die Funktionen der Darm-Mikrobiota können nützlich, aber auch schädlich sein, betonte Reinhardt. Zum Beispiel ist die Darm-Mikrobiota wichtig, um unser Immunsystem voll auszubilden: Verschiedene Immunzelltypen in unserem Körper können nur dann richtig funktionieren, wenn sie mit Darmbakterien in Kontakt gekommen sind. Die Darm-Mikrobiota schließt außerdem unzugängliche Nährstoffe für uns auf und stellt wichtige Stoffwechselprodukte zur Verfügung.
Aber die Darm-Mikrobiota kann bei einer ungünstigen Zusammensetzung auch metabolische Entzündungen, Atherosklerose und die Bildung arterieller Thromben fördern. „Entzündungen im Fettgewebe und in der Leber werden im Wesentlichen durch die Mikrobiota getrieben“, verdeutlichte Reinhardt.
Arteriosklerose, Fettleber, Typ-2-Diabetes
Unsere neue CardioHeparMetabolic-Diagnostik weist Veränderungen der Darm-Mikrobiota und ausgewählter Stoffwechselprodukte nach, die ein Risiko für die Entstehung von Arteriosklerose, nicht-alkoholischer Fettlebererkrankung und Typ-2-Diabetes darstellen...
Mikrobiota lässt Kapillarnetzwerke entstehen
Wie Reinhardt mit seiner Arbeitsgruppe zeigen konnte, bilden sich verstärkt Kapillarnetzwerke im Dünndarm, sobald der Darm keimfreier Mäuse mit Bakterien in Kontakt kommt. Die gebildeten Netzwerke liegen sehr nah an den Epithelzellen. „Die Kapillarnetzwerke sind wichtig, um Nährstoffe aus dem Lumen aufnehmen zu können“, erläuterte Reinhardt.
Gleichzeitig können mikrobielle Bestandteile und Stoffwechselprodukte aber auch leichter in den Blutkreislauf übertreten. „Neben der Epithelbarriere gibt es auch die vaskuläre Barriere, die dafür sorgt, dass die Nährstoffe selektiv resorbiert werden“, erklärte Reinhardt das vielschichtige Schutzsystem des Körpers. Allerdings gelangt immer ein kleiner Anteil mikrobieller Bestandteile und Stoffwechselprodukte über den parazellulären Transport in den Blutkreislauf und kann Entzündungen auslösen.
Reinhardt und Kollegen haben in dem Zusammenhang keimfreie und besiedelte Mäuse verglichen und konnten zeigen: Die Mikrobiota kann die Adhäsion von Leukozyten an die Venolen in den mesenterialen Gefäßen und in der Aorta verstärken. Im schlimmsten Fall kommt es durch die Gefäßentzündung zu einer Atherosklerose.
Darm-Mikrobiota kann Atherosklerose verringern - oder fördern
Wie unterschiedlich der Einfluss der Darm-Mikrobiota sein kann, zeigen Untersuchungen an ApoE-defizienten Mäusen. ApoE-defiziente Mäuse entwickeln spontan und regelmäßig fortgeschrittene atherosklerotische Läsionen, die histologisch denen im Menschen gleichen.
Behandelten die Wissenschaftler normal ernährte ApoE-defiziente Mäuse mit Antibiotika, verstärkten sich die atherosklerotischen Läsionen. Demnach kann die Mikrobiota also durchaus vor einer Atherosklerose schützen.
Wurden die Tiere auf einer Cholin-reichen Diät gehalten, waren die atherosklerotischen Läsionen größer als unter Normaldiät. In dem Fall verringerten Antibiotika die atherosklerotischen Läsionen.
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Darmbakterien fördern Atherosklerose über TMAO-Pathway
Wie genau bestimmte Darmbakterien die Entstehung der Atherosklerose fördern, ist am TMAO-Stoffwechselweg gut untersucht: Nehmen wir zum Beispiel Cholin, Carnitin oder Betain über die Nahrung auf, können Darmbakterien sie zu Trimethylamin (TMA) umsetzen. Cholin, Carnitin und Betain befinden sich in Fleisch, Fisch, Milch, Käse und Eiern. Die Darm-Schleimhaut resorbiert das bakteriell gebildete TMA und Leberenzyme oxidieren es zu Trimethylamin-N-oxid (TMAO). Erhöhte TMAO-Spiegel sind mit einem höheren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert - insbesondere Herzinfarkt und Schlaganfall.
Wie Reinhardt anhand einer Forschungsarbeit zeigte, verstärkt und beschleunigt Cholin die Entstehung von Schaumzellen - also von Makrophagen, bei denen sich eine große Menge Lipidtropfen im Zytoplasma angesammelt hat. Der Übergang von Makrophagen in Schaumzellen ist ein Schlüsselprozess in der Atherogenese.
Hemmten die Wissenschaftler ein Enzym des TMAO-Stoffwechselwegs, bildeten sich weniger Schaumzellen. „Damit ist die Darmflora als neues Target, ein drugable Target definiert worden“, wies Reinhardt auf die Bedeutung der Forschungsergebnisse hin. Atherosklerotische Läsionen und Schaumzellen in atherosklerotischen Plaques lassen sich so gezielt verringern.
Mikrobiota senkt Cholesterin-Spiegel
In ihren Untersuchungen an keimfreien Mäusen konnten Reinhardt und Kollegen außerdem zeigen: Bei normaler Ernährung kann die Darm-Mikrobiota den Cholesterin-Spiegel senken. Die Wirkung geht auf zwei Mechanismen der Darm-Mikrobiota zurück: Zum einen fördert sie die Ausscheidung von Cholesterin, zum anderen kann sie primäre Gallensäuren in Cholsäure umwandeln, die leicht ausgeschieden werden kann. Das senkt insgesamt den Cholesterol-Spiegel im Körper.
Die Cholesterin-senkende Wirkung der Darm-Mikrobiota geht allerdings bei einer fettreichen Diät verloren.
Fazit: Zwiespältige Rolle der Darm-Mikrobiota
Zum Abschluss seines Vortrags fasste Reinhardt zusammen: Die Mikrobiota im Darm erhöht die Vaskularisierung der Mukosa und erleichtert damit die Aufnahme von Nährstoffen. Allerdings gelangen dadurch auch mehr Bakterienbestandteile und bakterielle Stoffwechselprodukte in den Blutkreislauf - bis hin zur Leber. Das kann Entzündungsprozesse auslösen und die Thrombozytenfunktion sensitivieren. Bei einer Gefäßverletzung - wie es bei der Ruptur von atherosklerotischen Läsionen der Fall ist - kommt es zu einer erhöhten Adhäsion von Thrombozyten und einem verstärkten Thrombus-Wachstum. Insofern ist die Mikrobiota an der Entstehung einer Atherosklerose beteiligt und ein Risikofaktor bei arterieller Thrombose.
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