Darmflora

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Metabolisches Syndrom und Bedeutung der Mikrobiota

Prof. Dr. Susanne Klaus, Deutsches Institut für Ernährungsforschung, Potsdam

Je nach Zusammensetzung kann die Mikrobiota im Darm zur Entwicklung von Adipositas beitragen. Einige Bakterienarten setzen Ballaststoffe zu kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) um und stellen damit zusätzliche Energiequellen bereit. Doch das treibt die Entstehung der Adipositas nicht voran, im Gegenteil: vor allem die Propionsäure wirkt sich günstig auf das Stoffwechselgeschehen aus. Einzelne Bakterienarten wie Clostridium ramosum stehen dagegen im Verdacht, zur Entstehung von Adipositas beizutragen.

Ungeradzahlige Fettsäuren im Plasma können zudem als Biomarker für einen gesunden Ballaststoffverzehr dienen, da die Leber sie aus der bakteriell gebildeten Propionsäure synthetisiert.

Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind über 50 Prozent der Menschen in Europa übergewichtig, mehr als 20 Prozent adipös. „Wir Wissenschaftler gehen davon aus, dass der zentrale Auslöser des metabolischen Syndroms die viszerale Adipositas ist“, berichtete Prof. Dr. Susanne Klaus bei ihrem Vortrag auf der Fachtagung für Mikroökologie. Klaus leitet die Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Neben der viszeralen Adipositas spielen auch eine gestörte Glukosehomöostase, eine Hyperlipidämie und eine Hypertonie eine Rolle bei der Entstehung des metabolischen Syndroms.

Diagnosekriterien Metabolisches Syndrom

Für das metabolische Syndrom gibt es keine weltweit anerkannten, einheitlichen Diagnosekriterien. Die internationale Diabetes Federation (IDF) spricht von einem metabolischen Syndrom, wenn mindestens drei der folgenden Parameter erfüllt sind:

  • Taillenumfang: Männer ≥94 cm, Frauen ≥80 cm
  • Triglyzeride: ≥150 mg/dl (1,7 mmol/l)
  • HDL-Cholesterin: Männer <40 mg/dl (1,03 mmol/l), Frauen <50 mg/dl (1,29 mmol/l)
  • Blutdruck: systolisch ≥135 mmHg, diastolisch ≥85 mmHg
  • Nüchternblutglukose: ≥ 100 mg/dl (5,6 mmol/l)

Das metabolische Syndrom ist die Folge von Störungen im Energiestoffwechsel, für den auch der Dickdarm von Bedeutung ist. Dort verstoffwechseln die Mikroben des Darmmikrobioms alle bisher nicht verdauten Stoffe.

Das menschliche Darmmikrobiom ist so individuell wie ein Fingerabdruck. „Die Hauptvertreter sind jedoch bei allen Menschen die Bacteroidetes und die Firmicutes“, so Klaus. Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam geht sie der Frage nach, wie Bakterien im Darm den menschlichen Energiestoffwechsel beeinflussen. „Wir untersuchen unter anderem, ob und wie Bakterien zur Entstehung von massivem Übergewicht beitragen können“, so Klaus.

Initiator des Forschungszweiges waren die Publikationen einer Arbeitsgruppe aus den USA, die zeigten, wie Adipositas die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota beeinflusst.1 Die Forscher konnten zeigen: das Verhältnis von Bacteroidetes zu Firmicutes veränderte sich im Zuge einer Diät zu Gunsten der Bacteroidetes. Je mehr Gewicht die adipösen Probanden verloren, desto mehr Bacteroidetes und desto weniger Firmicutes lebten im Darm. „In den folgenden Jahren war das Phänomen immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen, da es nicht von allen Arbeitsgruppen reproduziert werden konnte“, berichtete Prof. Klaus. Wichtig sei dabei in erster Linie jedoch, ob es sich bei dem Phänomen lediglich um eine beobachtete Assoziation handele oder um einen kausalen Zusammenhang.

Darmbesiedlung und Übergewicht hängen zusammen

Die Übertragung der Darmbakterien von dicken und dünnen Mäusen auf keimfreie Mäuse zeigte: Es besteht tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen bakterieller Darmbesiedlung und Übergewicht.2 „Diejenigen Mäuse, die Bakterien der dicken Tiere übertragen bekommen hatten, haben bei gleicher Fütterung mehr an Körperfett zugelegt als die Mäuse, die die Bakterien der dünnen Mäuse erhalten hatten“, berichtete Klaus.

Das Prinzip funktionierte auch, wenn Wissenschaftler keimfreien Mäusen Darmbakterien von dicken Menschen übertrugen. In einer Untersuchung mit menschlichen Zwillingen, von denen stets einer normalgewichtig und der andere adipös war, übertrugen die Forscher ebenfalls Darmbakterien auf keimfreie Mäuse. Auch hier nahmen die Mäuse, die die Darmbakterien des übergewichtigen Zwillings erhalten hatten, schneller und stärker an Fettmasse zu als die Mäuse, die die Darmbakterien des normalgewichtigen Zwillings erhalten hatten.3

Clostridium ramosum löst Adipositas aus

„Um mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch praktisch etwas anfangen zu können, ist es vor allem interessant, welche Bakterienspezies an diesem Effekt beteiligt sind“, so Klaus. Für die Untersuchungen haben Wissenschaftler das gnotobiotische SIHUMI (Simplified huma Microbiota) Mausmodell entwickelt, das das humane Darmmikrobiom in vereinfachter Form widerspiegelt. Gnotobiotische Tiere werden keimfrei aufgezogen und können anschließend mit einer definierten Bakterienmischung besiedelt werden.
„Bei diesen gnotobiotischen Tieren kann man das Darmmikrobiom individuell zusammensetzen und so herausfinden, welcher Bakterienstamm einen bestimmten physiologischen Effekt erzielt“, erklärte Prof. Klaus. Bei einer Hochfett-Ernährung der Mäuse nahm der Anteil des Bakteriums Clostridium ramosum von etwa 4 auf 15 Prozent zu. Tiere ohne Clostridium ramosum im Darm hingegen nahmen bei gleicher Fütterung deutlich weniger zu.4 Spätere Studien mit humanen Probanden bestätigten: Auch beim Menschen scheint Clostridium ramosum an der Entstehung von Übergewicht beteiligt zu sein.5,6

Kurzkettige Fettsäuren ausschlaggebend

„Noch vor einigen Jahren war die Annahme zur Adipositas-Entstehung recht simpel“, berichtete Klaus. Wissenschaftler gingen davon aus: bei einer fettreichen Ernährung vermehren sich bevorzugt die adipositasfördernden Bakterien im Darm. Dadurch verfügt der Darm über eine erhöhte fermentative Kapazität – die Nahrung wird besser aufgespalten. In der Folge gewinnt der Körper mehr Energie aus der Nahrung und legt an Gewicht zu.7 „Die Annahme ist zunächst naheliegend“, so Klaus. Wie sich inzwischen herausstellte, sind die Prozesse der Adipositas-Entstehung aber etwas vielschichtiger.

Die Rolle der kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) schien Prof. Klaus zu Beginn ihrer Arbeit paradox zu sein: „Die einen propagierten, kurzkettige Fettsäuren seien Energieträger, die die Entstehung von Adipositas fördern. Die anderen sagten, eine ballaststoffreiche Ernährung sei gesund, weil die Darmbakterien aus Ballaststoffen kurzkettige Fettsäuren bilden, die den Hunger mildern und die Darmwand ernähren.“ Eine der Aussagen müsse falsch sein, so Klaus. Um das zu klären, untersuchte sie die Auswirkung von unterschiedlichen kurzkettigen Fettsäuren auf den Stoffwechsel.

Essigsäure, Buttersäure und Propionsäure kommen im Darm am häufigsten vor. Sie entstehen, wenn Darmbakterien Ballaststoffe verstoffwechseln. „Und zwar je nach Art des verzehrten, fermentierbaren Ballaststoffes in unterschiedlicher Häufigkeit“, so Klaus.8 Die Erkenntnis nahmen die Forscher um Prof. Klaus zum Anlass, die Rolle der drei kurzkettigen Fettsäuren Essigsäure, Buttersäure und Propionsäure genauer zu untersuchen.

Buttersäure bildet mit einem Gesamtanteil von 10 bis 20 Prozent die kleinste Fraktion der kurzkettigen Fettsäuren im Darm und dient in erster Linie den Darmzellen als Energiequelle. Essigsäure und Propionsäure gelangen über die Pfortader in die Leber und in die Peripherie. Sie dienen als Ausgangsstoffe für die Fettsynthese und die Gluconeogenese und regulieren die Cholesterin-Synthese. Essigsäure kommt mengenmäßig von allen drei Fettsäuren am häufigsten vor im menschlichen Darm.

Kurzkettige Fettsäuren gegen Adipositas

In Fütterungsversuchen mit Mäusen untersuchten Klaus und ihr Team, wie sich Essigsäure und Propionsäure auf die Entstehung von Adipositas auswirken. Dazu fraßen die Tiere über 30 Wochen sehr fettreich - in Kombination mit den löslichen und fermentierbaren Ballaststoffen Inulin oder Guar. „Um den Effekt der kurzkettigen Fettsäuren direkt zu untersuchen, haben wir zusätzlich noch eine Mischung aus Essigsäure und Propionsäure in verschiedenen Mengenverhältnissen gefüttert“, berichtete Klaus. Das Ergebnis:

Die zusätzliche Energiequelle durch die kurzkettigen Fettsäuren spielt bei der Entstehung von Adipositas keine Rolle. Im Gegenteil, vor allem die Propionsäure hat einen positiven Einfluss auf den Stoffwechsel. Eine Mikrobiomanalyse des Mäusestuhls zeigte zudem: Inulin und Guar wirken offenbar, indem sie das Wachstum unterschiedlicher Bifidobakterien-Arten fördern. So begünstigte Inulin das Wachstum von Bifidobacterium animalis, Guar hingegen das von Bifidobacterium pseudolongum. Was das genau bedeutet, muss aber in weiteren Studien erst noch untersucht werden.

Erhöhte ungeradzahlige Fettsäuren - erniedrigtes Erkrankungsrisiko

„Wir haben in unseren Versuchen festgestellt, dass Mäuse auf eine Fütterung mit Inulin mit einer erhöhten Anzahl ungeradzahliger Fettsäuren in der Leber und im Plasma reagieren“, berichtete Klaus. Denselben Effekt erzielten die Wissenschaftler, wenn sie den Tieren Propionsäure fütterten.

Die längerkettigen ungeradzahligen Fettsäuren enthalten ihrem Namen entsprechend eine ungerade Anzahl an C-Atomen. Sie kommen in der Regel in sehr geringen Konzentrationen im Plasma vor. „Besonders interessant dabei ist, dass eine erhöhte Plasmakonzentration dieser ungeradzahligen Fettsäuren mit einem verminderten Risiko für die Entwicklung verschiedener Krankheiten assoziiert ist“, erläuterte Klaus. Zu den Erkrankungen gehören Typ-2 Diabetes9, Krebs10, Alzheimer11 und koronare Herzerkrankungen12. „Wir wissen noch nicht, ob die ungeradzahligen Fettsäuren an sich gesundheitsfördernd wirken. Der Zusammenhang ist erstmal nur eine beobachtete Korrelation, bei der die ungeradzahligen Fettsäuren auch lediglich ein Biomarker für eine bestimmte Ernährungsweise sein könnten“, so Klaus.

Leber bildet ungeradzahlige Fettsäuren

„In den Lehrbüchern finden wir, dass ungeradzahlige Fettsäuren von Wiederkäuerbakterien gebildet werden“, so Klaus. Als Ausgangssubstrat benutzen die Bakterien Propionsäure – eine kurzkettige Fettsäure mit drei C-Atomen. „Man ging davon aus, dass die ungeradzahligen Fettsäuren über den Verzehr von Milchprodukten in den menschlichen Körper gelangen.“ Klaus und ihre Kollegen konnten jedoch zeigen: der menschliche Körper ist selbst in der Lage, ungeradzahlige Fettsäuren in der Leber herzustellen. Als Ausgangsstoff verwendet er die Propionsäure, die Darmbakterien aus fermentierbaren Ballaststoffen freisetzen.13

„Ungradzahlige Fettsäuren im Plasma sind also kein Marker für den Verzehr von Milchprodukten, sondern für den Verzehr von gesundheitsfördernden Ballaststoffen“, so Klaus und weiter: „Die Propionsäure hat positive Gesundheitseffekte, insbesondere auf die Insulinresistenz und die hepatische Steatose.“ Ihre Erkenntnisse dienen nicht nur der Grundlagenforschung, sie haben auch einen praktischen Nutzen: Auf ihrer Basis lassen sich Prä- und Probiotika für eine gesteigerte Bildung von kurzkettigen Fettsäuren - insbesondere von Propionsäure - herstellen, mit denen die Entstehung eines metabolischen Syndroms möglicherweise verhindert werden kann.

Literatur:

  1. Ley, R.E. et al. Microbial ecology: human gut microbes associated with obesity. Nature. 2006 Dec 21;444(7122):1022-3. doi: 10.1038/4441022a.
  2. Turnbaugh, P.J. et al. An obesity-associated gut microbiome with increased capacity for energy harvest. Nature. 2006 Dec 21;444(7122):1027-31. doi: 10.1038/nature05414.
  3. Ridaura, V.K. et al. Gut microbiota from twins discordant for obesity modulate metabolism in mice. Science. 2013 Sep 6;341(6150):1241214. doi: 10.1126/science.1241214.
  4. Woting, A. et al. Clostridium ramosum Promotes High-Fat Diet-Induced Obesity in Gnotobiotic Mouse Models. mBio. 2014 Sep-Oct; 5(5): e01530-14. doi:  10.1128/mBio.01530-14.
  5. Le Chatelier, E. et al. Richness of human gut microbiome correlates with metabolic markers. Nature. 2013 Aug 29;500(7464):541-6. doi: 10.1038/nature12506.
  6. Karlsson, F.H. et al. Gut metagenome in European women with normal, impaired and diabetic glucose control. Nature. 2013 Jun 6;498(7452):99-103. doi: 10.1038/nature12198.
  7. Candela, M. et al. Intestinal microbiota is a plastic factor responding to environmental changes. Trends Microbiol. 2012 Aug;20(8):385-91. doi: 10.1016/j.tim.2012.05.003.
  8. Weitkunat, K. et al. Effects of dietary inulin on bacterial growth, short-chain fatty acid production and hepatic lipid metabolism in gnotobiotic mice. J Nutr Biochem. 2015 Sep;26(9):929-37. doi: 10.1016/j.jnutbio.2015.03.010.
  9. Forouhi, N.G. et al. Differences in the prospective association between individual plasma phospholipid saturated fatty acids and incident type 2 diabetes: the EPIC-InterAct case-cohort study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2014 Oct;2(10):810-8. doi: 10.1016/S2213-8587(14)70146-9.
  10. Yang, Z. et al. Induction of apoptotic cell death and in vivo growth inhibition of human cancer cells by a saturated branched-chain fatty acid, 13-methyltetradecanoic acid. Cancer Res. 2000 Feb 1;60(3):505-9.
  11. Fonteh, A.N. et al. Human cerebrospinal fluid fatty acid levels differ between supernatant fluid and brain-derived nanoparticle fractions, and are altered in Alzheimer's disease. PLoS One. 2014 Jun 23;9(6):e100519. doi: 10.1371/journal.pone.0100519.
  12. de Oliveira Otto, M.C. et al. Biomarkers of dairy fatty acids and risk of cardiovascular disease in the Multi-ethnic Study of Atherosclerosis. J Am Heart Assoc. 2013 Jul 18;2(4):e000092. doi: 10.1161/JAHA.113.000092.
  13. Weitkunat, K. et al. Odd-chain fatty acids as a biomarker for dietary fiber intake: a novel pathway for endogenous production from propionate. Am J Clin Nutr. 2017 Apr 19. pii: ajcn152702. doi: 10.3945/ajcn.117.152702.

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